Gezeitenwende

Es gilt das gesprochene Wort - Albert Borchardt, Mittwoch 09.Juni 2021 - DIE LINKE im Rat der Stadt Eschweiler


Wir schauen schon wieder auf ein sehr bewegtes Jahr zurück und in eine unsichere  Zukunft mit vielen Risikien, die durchaus auch für unsere Stadt Auswirkungen haben wird, und ich meine nicht nur die kommende Bundestagswahl.

Normalerweise stellt eine Kommunalwahl und der Wechsel an der Spitze der Verwaltung eine Zäsur dar. Doch andere Ereignisse haben eine vieltiefgreifendere Veränderung und werden sie noch haben.
Eschweiler hat nach der Kommunalwahl seine Unschuld verloren, erstmals sitzt eine faschistische Partei im Stadtrat. Damit hier niemand einen Zweifel hegt "Faschismus ist keine Meinung und auch keine Gesinnung – sondern ein Verbrechen".
Demokratisch gewählt, heißt noch lange nicht, dass es sich um eine demokratische Partei handelt. Das Handeln bis jetzt und die Äußerungen zu einzelnen Themen durch diese Partei bestärken nur den Eindruck.

Digtale Medien hätten eine Möglichkeit dargestellt, Bürgerbeteiligung breiter aufzustellen, das Gegenteil ist festzustellen. So werden wir den Ansatz weiterverfolgen, über einen "Bürgerrat" oder andere Formen Bürgerbeteiligung demokratisch auszubauen. Mittel stehen im Haushalt um Erfahrungen aus Eupen und Aachen hier vorzustellen.
„Nicht beteiligt zu sein, führt zu Gärungsprozessen“

Wie ich schon in zurückliegenden Haushaltsreden betonte, sollten wir statt mit Angst oder gar Hass auf die Umbrüche der Zukunft zu reagieren, gemeinsam an Lösungen arbeiten. Diese Herausforderungen für die Politik werden zeigen, wie stark der Zusammenhalt der Gegenpositionen ist. Denn die Notwendigkeit von Kompromissbereitschaft ist unabdingbar.
"Wer nicht kompromissfähig ist, der ist nicht demokratiefähig" Gregor Gysi

Komme ich nun zum vorliegenden Haushalt und dessen Beratung. Die Notwenigkeit zu einem verantwortungsvollen wirtschaftlichen Handeln setzt voraus, dass man seine Einnahmen tatsächlich kennt und danach seine Ausgabenhöhe bestimmen kann. Dies wurde in diesem Jahr durch äußere Einflüsse auf eine sehr harte Probe gestellt und ob die Planungen in den nächsten Jahren so bleiben werden, hängt nicht nur durch den weiteren Verlauf der aktuellen Pandemie ab. Auch wenn es hier einige gibt, für die die Pandemie nur ein Ablenkungsmanöver ist, möchte ich meine Anerkennung all denen aussprechen, die in Pflegeeinrichtungen, Krankenhäuser, Schulen, Kitas, in Geschäften Beschäftigen, schlicht allen, die trotz aller Einschränkungen dafür sorgten, dass das Leben weiter gehen konnte. Generell fehlt mir jedes Verständnis dafür, Menschen zu bedrohen, zu beschimpfen, die sich dafür einsetzen, anderen zu helfen.
Und dann haben wir ein noch viel größeres Problem vor uns – den Klimawandel. Auch hier gibt es einige, die den Unterschied zwischen Wetter und Klima nicht kennen, aber auch meinen, dass dies sei alles nicht so dramatisch für uns.

Eins hat die Pandemie gezeigt: wie eng inzwischen die Menschen auf unserem Globus zusammen gerückt sind. Und wenn in China ein Sackreis umkippt, kann dies inzwischen bei uns weitreichende Folgen haben. Global denken – lokal handeln, muss auch für einen Rat in Eschweiler die Maxime sein. Wir sind ständig in einem "Strukturwandel", schon Ovid sagte "Alle Dinge verändern sich, es gibt nichts in der ganzen Welt, das Bestand hat."
So war es nur folgerichtig sich, für 100% erneuerbarere Energie bei den städtischen Einrichtungen auszusprechen. Die mit "Augenmerk" betriebene Taktik ist nicht mehr als ein ängstliches Zaudern. Und dann meinen, es werden Arbeitsplätze vernichtet, verdeutlicht vielmehr Hilflosigkeit. Wenn ich einen Strukturwandel schaffen will, und wie gesagt sind wir ständig in diesem Wandel, muss die Möglichkeit der Erneuerung gegeben sein, aber auch der Druck zur Erneuerung, denn der Markt richtet nichts.

Wir wollen, dass auch nach einer Schließung des Kohlekraftwerkes die Menschen einen gut bezahlbaren Job finden, von dem sie und ihre Familien gut leben können. Nicht wie die geschönten Arbeitsmarktzahlen vorgauckeln. Es gab auch noch nie soviele, die nicht von ihrer Arbeit leben können. Auch dies belastet die Sozialausgaben und den Haushalt einer Kommune. Es gilt die Weichen für zukunftsfähige Arbeitsplätze zu stellen.

Regional - dezentral.

Erfreulich, dass doch mehr oder weniger allgemein erkannt worden ist, das der öffentliche Nahverkehr verbessert werden muss. Allein günstigere Tickets steigern die Attraktivität nicht. Es braucht mehr Linien mit engeren Taktzeiten, mehr und modernere Fahrzeuge und selbstverständlich ein günstigeres und einfacheres Ticketsystem. Ich setze darauf, das der nächste Schritt die Einführung eines 365 Euro Tickets / ein Euro pro Tag - und dies für mindestens die gesamte Städteregion - sein wird und sukzessiv die Ausweitung der Taktzeiten. Die Schaffung eines Fahrgastbeirates für die Städteregion sollte auch im Blickfeld gehalten werden.

Ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Fahrrädern, Bussen, Bahnen, und Autos, um auch in Zukunft die Verkehrsmittel für eine immer mobiler werdende Gesellschaft bereitzustellen. Der Ausbau von Park-and-Ride- und Bike-and-Ride-Anlagen und des Radwegenetzes können diese Vernetzung der Verkehrsträger und Verkehrsmittel – digital, baulich und organisatorisch unterstützen. Die Vorfahrt für Fahrräder und Fußgänger muss erkämpft werden. Nicht das Autofahren verbieten, sondern die Möglichkeiten bieten, darauf verzichten zu können. Die Indestrasse wird nicht zurückgebaut. Mir sind keine Pläne bekannt, wo der Straßenraum verkleinert wird. Vielmehr wird der Straßenraum neu aufgeteilt.
Die Straßen gehören nicht allein den Autos, dies ist kein Naturrecht. In einem verdichteten urbanen Raum ist die Flächeneffizienz von besonderer Bedeutung. Auf sie sollte bei Investitionsentscheidungen daher verstärkt geachtet werden.

Kleines Rechenbeispiel: 72 Menschen in Autos belegen bei 60 genutzte Fahrzeugen (häufig sitzt nur eine Person im Wagen) 1.000qm, bei 72 Fahrrädern 90 qm, 1 Bus 30 qm. Dies gilt es zu bedenken. Ein möglichst lärmarmer und abgasfreier Verkehr erhöht die Lebensqualität einer Stadt.
Bei der vieldiskutierten Gesamtentwicklung der Innenstadt, bei einer Umgestaltung der Indestrasse und des Rathausquartiers wundere ich mich, warum man sich immer wieder nur "seine madige Rosine" heraus pickt und damit hausieren geht.
Doch diese mutlose Politik bedeutet Stillstand und Stillstand heißt Rückschritt.

Komme ich nun zum Rathausquartier: Als ich vorschlug, das Hertiegebäude unter Zwangsverwaltung zu stellen, wurde dies als unmöglich abgetan, genauso die Bemühungen der Stadt durch Zwangsversteigerungen.

Nun erleben wir die Aufführung "König Drosselbart". Jeder Vorschlag, insbesondere Änderungen nach Gesprächen mit Eigentümer und Investoren, wird nach kurzer Zeit wieder verworfen. Nein, „so gefällt es mir nicht“, ist zu hören. Es sind zuviele Einkaufsmöglichkeiten, zu wenig Wohnungen, keine Aufenthaltsqualität. Jetzt sind es zu wenige Geschäfte, zu viele Wohnungen, die Möglichkeiten der Aufenthaltsqualität wird bewußt verschwiegen, wenn Zeichnungen in die Öffentlichkeit lanciert werden.
Eine Markthalle soll her, am besten gleich noch mit oder als Veranstaltungsraum zu nutzen. Alles schöne Wünsche, auch nachvollziehbar, jedoch hier stellt sich die Frage, Inwieweit wurde nun die vielbesprochene Gesamtentwicklung der Innenstadt berücksichtigt? Die Diskussion über die Zukunft des Rathausquartiers muss immer auch die Zukunft der gesamten Innenstadt einschließen. Eine Anbindung an die Uferstraße und Fußgängerzone gehört dazu, ebenso die Steigerung der Einkaufsqualität. Das Citymanagement hat hier wertvolle Konzepte „in der Schublade“. Dessen Unterstützung im Haushalt begrüßen wir sehr.
In der Fußgängerzone gibt es Leerstand, der Markt entwickelt sich mit seinen Gaststätten positiv und ganz langsam wird auch die Schnellengasse mitgezogen, etliche Veranstaltungsräumlichkeiten in unterschiedlicher Größe sind vorhanden. Wir tagen im Moment in der Festhalle in Weisweiler, zwei weitere, kleinere sind vorhanden sowie weitere Veranstaltungsräumlichkeiten.
Die Frage ist: Inwieweit würde ein Ausbau in Richtung Markthalle etc. die vorhandene Infrastruktur gefährden?
Faktor X sollte selbstverständlich sein. Wir haben Anregungen gegeben in Richtung „Urban Farming“ und entsprechende Gespräche geführt, wie so etwas aussehen könnte. Am Mittwoch, 2. Juni, konnte man in der Aachener Lokalausgabe lesen „Der erste senkrechte Acker läuft schon. Smarte Erfindung: Beim „Vertikal Farming“ sprießen Kräuter und Salate am Fließband. Alles dreht sich im „OrbiLoop … Eine „patentierte Revolution“ nennen das die Erfinder des Prototyps vom Fraunhofer IME auf dem RWTH Campus.“ Hier böte sich eine Möglichkeit beim Strukturwandel, aber auch dem Klimawandel. Das Rathausquartier soll zukunftsfähig entwicklet und gebaut werden. Leider muss ich feststellen, das bei keinem von Ihnen dies wirklich im Vordergrund steht.

Die Innenstadt braucht eine deutlich verbesserte Nahversorgung und ausreichend Wohnraum. Es bedarf einer Nahverdichtung, wir können uns auch kein “Weiter so“ im Flächenverbrauch erlauben.
Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, dieser Dreiklang kann eine deutliche Aufwertung für die
Innenstadt bedeuten. Bibliothek und VHS als Bildungsstandort stärken.

Mit attraktiven Sozialwohnungen lässt sich das Stigma der Armut entfernen. So wünsche ich mir auch, dass wir neben der Auszeichnung für ein Faktor X-Baugebiet mit Ressourcen- und Klimaschutz auch Auszeichnungen erhalten für gutes Bauen im öffentlich geförderten Wohnungsbau. Das Umfeld prägt nicht nur unser Verhalten, sondern auch unsere Einstellung. Selbst dann, wenn Menschen sich nur kurz an einem Ort aufhalten. Aus früheren Studien ist bekannt, dass sozial und wirtschaftlich benachteiligte Menschen weniger Zutrauen haben und mehr Misstrauen hegen.
Menschen prägen Räume. Räume prägen Menschen.
Daher noch einmal:
"Wer nicht kompromissfähig ist, der ist nicht demokratiefähig"

Komme ich zum Schluss noch mal kurz auf den vorliegenden Haushalt bzw. seinem Zahlenwerk zu sprechen. Immer wieder betonte ich in meinen Haushaltsreden die Notwendigkeit einer Finanzreform zu Gunsten der Kommunen. Immer stärker sind die Kommunen von Fördermaßnahmen abhängig.

Die enge Verflechtung zwischen den Steuereinnahmen der Länder und den Zuweisungen an die Kommunen (Verbundquote), jede Reduktion des Länderanteils an der Einkommensteuer durch Steuerrechtsänderungen mit Einnahmeausfällen ist verbunden mit den Kommunen. Diskutierte Steuersenkungspläne stellen eine doppelte Gefahr für die kommunalen Haushalte dar: Die Kommunen wären im Falle ausbleibender Kompensation nicht nur von direkten Einnahmeausfällen z.B. beim Gemeindeanteil an der Einkommensteuer betroffen, sondern auch indirekt aufgrund reduzierter Zuweisungen seitens der Länder. Mir wurde warm ums Herz bei dem Appell unseres Kämmerers „das Bund und Land, substanzielle Hilfe leisten und einen kommunalen Rettungsschirm spannen sollen.“ Weise ich doch seit Jahren auf diese Zusammenhänge hin und auch der Notwendigkeit der Veränderung. Denn wenn eine Kommune nicht mehr in der Lage ist eine gute Infrastruktur mit Sporteinrichtungen, Vereine, öffentliche Bibliothek, Schwimmbad, kulturelle Veranstaltungen, Jugendarbeit und viele Dinge mehr zu verwirklichen können, die Lebens- und Bildungsqualität sich nur noch einige Wenige leisten. Denn arme Kommunen können sich nur Reiche leisten.
Ich kann dem Wunsch unseres Kämmerers nachkommen und dem vorliegenden Haushalt zustimmen.

„Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ - Karl Marx

Tags: Eschweiler, Haushaltsrede

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